Solo auf dem Jakobsweg per Rad Teil 2: Col du Somport
Auf meiner Tour von den Niederlanden nach Spanien war in Südfrankreich Jaqueline zu mir gestoßen, meine Reise-Campanula. Nach den frühsommerlichen Temperaturen ging es nun über die Pyrenäen in Richtung Spanien, wo uns ganz anderes Wetter erwartete. Zunächst galt es jedoch den Pass zu überqueren. In diesem Beitrag: Pyrenäenpässe für Fahrradpilger und mein Reisetagebuch Tag 20 und 21...
Mit dem Fahrrad über die Pyrenäen
Wer von Frankreich auf die Iberische Halbinsel will, muss über die Pyrenäen. Die 430 km lange Gebirgskette erstreckt sich zwischen Atlantik und Mittelmeer. Die höchsten Gipfel von über 3000 Metern befinden sich zum Glück nicht in den Randgebieten am Meer, sodass man dort mit dem Tourenrad mehr oder weniger bequem auf die andere Seite kommt. 8 Pässe auf der Westseite der Pyrenäen kommen für Fahrradpilger auf dem Jakobsweg in Frage. Die GPX-Datei der Pyrenäenpässe kannst du dir hier herunterladen.
Col du Pourtalet 1794 m
Wer von Pau direkt nach Süden fährt, kommt zum Col du Pourtalet oder auch Puerto de Portalet d'Aneu. Auf der anderen Seite geht's es in Richtung Huesca nach Süden. Die Stadt Sabiñánigo liegt in etwa auf einer Höhe mit Jaca. Dort kannst du den Camino Frances nach Santiago de Compostela wieder aufnehmen.
Der Pass hat eine lange Anfahrt durch das Flusstal des Gave de Brousset und ist daher nicht besonders hart. Östlich der spanischen Seite des Passes liegt der Nationalpark Ordesa und Monte Perdido mit dem Ordesa-Tal: hohe Berge, tiefe Seen und schöne Aussichten.
Col du Somport 1632 m
Diesen Pass von Oloron-St.-Marie habe ich genommen. Auf französischer Seite ein gemächlicher Anstieg auf einer nicht besonders stark befahrenen Straße mit malerischer Landschaft. Der Pass ist das ganze Jahr über geöffnet, da sich auf spanischer Seite Skigebiete anschließen.
Der Somport ist einer der ältesten Pässe der Pyrenäen und erlangte im 20. Jahrhundert so viel Bedeutung, dass eine Zugverbindung von Pau nach Canfranc gebaut wurde. Die Zugverbindung besteht seit 1970 nicht mehr und der imposante Bahnhof von Canfranc fungiert seither als Endstation. Die Wiederaufnahme der ursprünglichen Strecke ist für 2025 geplant.
Col de la Pierre St. Martin 1760 m
Von Oloron St. Marie kommend ist dieser Pass eine weitere Option. Einsam und in grandioser Landschaft ist er allerdings auch sehr hart. Auf 21 km ab Arette überwindest du 1440 Höhenmeter, das sind etwa 7% Steigung. Auf dieser Route kommst du am östlichen Ende des Yesa-Stausees zwischen Jaca und Pamplona auf die Pilgerroute.
Port de Larrau 1573 m
Einsam und schön, aber anspruchsvoll ist dieser etwas abgelegene Pass. Ein Teil der Anfahrt ab Larrau auf französischer Seite überwindet auf 7,2 km 730 Höhenmeter, das sind etwa 10% Steigung. Der Pass liegt zwischen Oloron St. Marie und St. Jean Pied du Port im absoluten Niemandsland. Für Liebhaber, die die anderen Pässe schon kennen oder jedweden Verkehr vermeiden möchten.
Auf der spanischen Seite kommst du auf dieser Route bei Lumbier westlich des Yesa-Stausees heraus.
Von St.-Jean-Pied-de-Port kommend sind 3 Pässe möglich: im Osten der Azpegi-Pass, dann der am meisten genutzte Puerto de Ibañeta und im Westen der in Ost-West-Richtung verlaufende Col d'Ispeguy.
Azpegi 1051 m
Über den hauptsächlich von Touristen genutzten Azpegi-Pass führt eine schmale alphaltierte Straße durch Weideland und vorbei an vorzeitlichen Steinkreisen, sogenannten Chromlechs.
Die 11,7 km lange Auffahrt überwindet ab Estérençuby 810 Höhenmeter - eine Steigung von etwa 7%. Geeignet für Radfahrer, die die Einsamkeit suchen und ausgetretene Wege vermeiden möchten. Auf spanischer Seite folgt die Straße ab Orbaizeta dem Lauf des Irati-Flusses. In dem Ort Ariba kannst du nach Westen abbiegen, um wieder auf den EuroVelo 3 zu kommen, der dann nach Pamplona führt.
Puerto de Ibañeta 1057 m
Von St.-Jean-Pied-de-Port kommst du über diesen auch Col de Roncevaux oder Port de Roncevalles genannten Pass auf dem EuroVelo 3 nach Pamplona. Der Pass ist mit einer durchschnittlichen Steigung von 5% der einfachste Pass der West-Pyrenäen. Auf der Passhöhe markiert die Kapelle den Beginn des Camino Frances, dem spanischen Teil des Jakobswegs.
Col d'Ispeguy 672 m
Von St.-Jean-Pied-de-Port aus erreichst du auch den Izpegi-Pass. Allerdings liegt der Pass nicht wirklich auf dem Weg irgendwohin und eignet sich daher für Radfahrer, die gern einen neuen Pass ausprobieren oder noch eine Extra-Runde drehen wollen und gern ein paar steile Anstiege fahren.
Von St.-Etienne-de-Baigorry in Frankreich kommend beträgt die durchschnittliche Steigung 6,2%. Es sind aber einige Stellen mit Steigungen von bis zu 12% dabei.
Auf spanischer Seite kommst du nach Erratzu. Von dort könntest du weiter über Elionzo nach Santesteban. Dort triffst du auf den EuroVelo 1 nach Pamplona.
Alto Jaizkibel 455 m +Alto Agina 554 m
Der EuroVelo 1 entlang der französischen Küste führt von Irun an der spanisch-französischen Grenze am Bidasoa-Fluss entlang nach Pamplona.
Du möchtest noch einen Abstecher nach San Sebastián machen oder die atemberaubenden Aussichten einer Passstraße am Atlantik genießen? Dann solltest du auf Küstenstraße von Hondarribia über den Alto Jaizkibel nach San Sebastián fahren und von dort durch die Vorberge der Pyrenäen zum Alto Agina. Auf der Passstraße gelangst du bei Amixelaieta wieder auf den EuroVelo 1.
Weitere Informationen zu allen Pässen in den Pyrenäen, die du mit dem Fahrrad fahren kannst, findest du auf Quäldich und auf Climbfinder. Von Bergen bekommst du nie genug? Mach mit beim Trans-Pyrenees-Race: 1500 km self-supported durch die Pyrenäen.
Auf meinem Tourenrad mit Gepäck war ich nun in Pau angekommen und kurz davor, zum ersten Mal die Pyrenäen zu überqueren. Schauen wir mal, wie das ging:
20. Tag Sonntag, 6. April 1740 km
Ich war super müde, der Sonnenbrand. Wachte auf meiner Bank erst halb 8 auf. Bewölkt – zum Glück, nicht noch mehr Sonne. Ich fuhr zum Bahnhof. Wegen der ordentlichen Toiletten frühstückte ich im Café: Kaffee und 2 Chocolatine für 5,50€. Mein Budget schrie nach Ausgleichstagen.
Ich hatte noch keine Lust, loszufahren. Auf der Bahnhofskarte schaute ich nach, wie ich nach Oloron-St.-Marie kommen würde. Dann schrieb ich erstmal Tagebuch.
Radwandern ist keineswegs für alle eine selbstverständliche Reiseform. „Warum fährst du nicht einfach eine Runde und kommst hierher zurück?“, hatte meine Freundin in den Niederlanden gesagt. Nun ja, das tat ich im Prinzip, auch wenn die Runde größer als erwartet ausfiel. Im Gegensatz zum anfänglichen „nichts wie weg“ war Zurückkommen sogar zu meinem Reisemotto geworden. Da war schon eine Menge Zen passiert.
„Du kannst doch genauso gut in Polen Radfahren, gönn dir doch mal die Nähe“, hatte meine Freundin in Deutschland empfohlen. Natürlich hätte das genauso funktioniert. Ich hätte andere neue Dinge kennengelernt, nicht diese, meine, die mir lieb geworden sind. Nun in ich hier in Pau. 30 Jahre alt, Scheidung fast durch, unbefristeten Job gekündigt, pilgere nach Santiago de Compostela, weil das so im Fahrradreiseführer steht. Hm.
Mein Kreislauf hatte sich noch nicht vollständig erholt. Ich trödelte in aller Herrgottsseelenruhe los, Zen statt Eile, und sang ein Lied. Die Sonne brach durch die Wolkendecke. Oder doch niemals zurückfahren?
Die Sonne blieb nicht. Mit meinem Sonnenbrand und der zusammengeklebten Brille auf meiner Nase waren die Wolken eh praktischer. Sonst müsste ich jetzt mit schweißigen Fingern die Kontaktlinsen einsetzen, um die Sonnenbrille aufsetzen zu können.
Ich fuhr nach Oloron-St.-Marie. Den Weg hatte mir auf der Bahnhofskarte rausgesucht. Denn der Reiseführer „Auf alten Wegen“ war schon im Paket auf dem Weg nach Hause. Das nächste Buch fing erst in Oloron-St.-Marie an.
Wie durch Zauberhand - oder habe ich tatsächlich Navigationsfähigkeiten? - fand ich den Abzweig. Ich war ziemlich stolz auf mich. Als totale Orientierungsnull... Wenn ich mein Fahrrad mal entgegen der Fahrtrichtung an einen Baum lehnte, wusste ich nach dem Pinkeln schon nicht mehr, woher ich gekommen war.
Ob der Abzweig allerdings so eine gute Idee war? Die Straße war klein und ziemlich schlecht. Ein Gefälle von 14% war dabei, da bekam ich ja Höhenangst - jetzt schon! Sicherheitshalber fuhr ich bergab so langsam wie die Rennradfahrer, die mir bergauf entgegenkamen.
Der Westwind (wir sind dicke Freunde) kam nach einer Woche Pause auch mal wieder auf. Ausgeglichen und erholt kühlte er mir frisch mein sonnenverbranntes Gesicht. War einfach da, genau wie ich, nur ein paar Milliarden Jahre älter. Kein Grund, sich aufzuregen.
Nach 30 km kam ich in Oloron St. Marie an. In Notre Dame war grad die Sonntagsmesse vorbei. Ein demotivierter Kuttenträger gab mir einen Stempel.
Im ganzen Ort roch es Schokolade. Auf der Suche nach der kleinen Straße, auf die mein Reiseführer mich schickte, stieß ich auf die Ursache: eine Lindt-Schokoladenfabrik! Krasse Sache. Ansonsten fand ich nichts, was am Sonntag nach 12h noch geöffnet hatte, außer einer teuren Boulangerie.
Ich fuhr also direkt weiter in die Berge. Lust zum Treten hatte ich überhaupt nicht. Ich trödelte. Hier gab es in jedem Dorf eine Herberge, kein Problem. Später fuhr ich jedoch nur durch winzige Almnester und bezweifelte, dass die mich überhaupt würden übernachten lassen.
Optisch ging es gerade bergab, aber wenn ich nicht in die Pedalen trat, blieb ich stehen. Und das bei Rückenwind. Da stimmt doch irgendwas nicht.
Plötzlich war im letzten Dorf 20 km vor dem Pass: Borce, sehr hübsch, tolle Aussicht, St.-Jaques-Museum mit einer liebevoll eingerichteten Pilgerherberge darin. Die kostete allerdings 11,80€. Mein Fahrrad und Jaqueline konnten warm und trocken drinnen parken. Ich ging rein und packte aus. Ich war die einzige. Super, so konnte ich waschen. Im Dorf kaufte ich ein. Für 7,70€ bekam ich 2 Äpfel, 1x Milch, Kartoffelbrei, Chorizo, Joghurt, Brot. In der Unterkunft kochte ich. Die Chorizo war total eklig. Trotzdem alles aufgegessen. Halb 9 kam die Wirtin abkassieren und stempeln. Sie hatte ihre 10-jährige Tochter dabei, die fand, dass mein Essen stank, womit sie völlig recht hatte. Ich duschte, wusch meine Sachen, schrieb Tagebuch und spielte Flöte. Entspannt.
Zwar hatte ich kein Zelt mitgenommen, aber meine Querflöte hatte ich damals immer dabei, machte wenn nötig Straßenmusik und spielte für Leute, die mich beherbergt hatten, als Dankeschön. Oder eben einfach so für mich.
21. Tag Montag, 7. April 1820 km
Morgens waren meine Sachen noch nicht richtig trocken. Ich legte sie auf die Heizung und frühstückte. Müsli mit Joghurt, einen Apfel und Kamille-Vanille-Tee. Als meine Sachen halbwegs trocken waren, war es halb 10.
Heute setzte ich meinen Rucksack auf den Rücken, weil sich das bergauf besser fuhr. Beim Frühstück hatte ich noch eine Geburtstagskarte geschrieben. Als ich durch das nächste Dorf fuhr, Urdos, das letzte französische Dorf, warf ich sie in den Briefkasten. Den fand man in Frankreich zuverlässig auch im verlassensten Ort.
Mit 6 km/h fuhr ich den Pass hoch. Schnee am Straßenrand und in der Landschaft. Ich hatte wieder Handschuhe an. In den 4 Stunden bis zum Somport fuhr mehrmals ein Linienbus an mir vorbei. In der Ferne wehten mir die Fahnen des Somport zu. Fast geschafft! So schwer war es am Ende gar nicht. Nur lang. Ich war froh, dass ich gestern schon bis Borce gefahren war.
Am Grenzübergang gab es ein Restaurant, in dem ich Brühe mit Brot und ein Brownie-Schokoladeneis verkonsumierte. Als ich rauskam fing es kalt an zu regnen. Dazu kam starker Gegenwind. Jaqueline hatte endgültig die Nase voll: erst die 2 Tage Hitze und Sonne, dann Schnee um uns herum und jetzt das. Sie ließ sich voll hängen. Ich erzählte ihr, wie andere Campanula auf der Welt unter viel widrigeren Umständen Menschenherzen erfreuten und Flächen mit Blütenteppichen überzogen, dass es ein Augenschmaus war. Jaqueline nickte nur müde. Als Reise-Campanula hatte sie mit ihren eigenen Herausforderungen zu kämpfen.
Ich fuhr ins Tal. Zum Hängen hatte Jaqueline keine Gelegenheit mehr, denn ich konnte unmöglich die ganze Zeit die Bremse ziehen. Ich hatte es eilig: In dem starken eiskalten Regen wurden Jaqueline und ich in kürzester Zeit zum Eisblock. Unter meiner Jacke hatte ich nur den Bodywarmer an.
Vorbei an Candanchú bis Canfranc-Estación. Der bekannte Bahnhof war aber leider grad eine Großbaustelle. Ich zog meine Fließjacke schnell auf der Straße an. Spanien sah ganz anders aus als Frankreich, die Schilder, der Verkehr. Mehrstöckige Neubauten statt 1000 Jahre alter Gemäuer. Die 30 km bis Jaca gingen schnell. Auf dem Weg sah ich 6 Pilger. Nach 3 Wochen französischer Einsamkeit war ich „so viele“ Menschen nicht mehr gewöhnt.
In Jaca angekommen war es halb 4: Regen und Siesta-Zeit. Um 4 sollte die Albergue aufmachen. Ich war die zweite. Es wurde noch komplett voll an diesem Tag. Der andere Pilger war ein Spanier, der seinen Camino gerade begann. Es lief sehr routiniert ab hier: Pilgerpass + Ausweis = Stempel, 8€ dazu = Bett. Ich packte meinen Kram auf ein Bett und ging mit dem Spanier zu einem Supermarkt. Für Joghurt, Brot, Milch, Schokolade und Tütensuppe löhnte ich 5,50€. In der Herberge waren inzwischen noch Deutsche und 3 Australier angekommen, mit denen ich mich später bei einem Glas Wein lange unterhielt. Einer der Australier verriet mir, wie man immer eine Wette gewinnen kann: Wenn man gerade den letzten Schluck Wein eingeschenkt hat, wie viele Tropfen sind noch in der Flasche? Meistens 17!
Der Schlafsaal war komplett voll. Es waren noch 5 Spanier angekommen. Ich fühlte mich wohl und hörte dem Geschnarche, Handygepiep und Handygeklingel zu.
Im dritten Teil der Solo-Serie fahren Jaqueline und ich auf dem Camino Frances Richtung Santiago de Compostela. Wir treffen ab jetzt viele Pilger und sind mehr unter Menschen – mit den dazugehörigen Nebenwirkungen:
[...] Nachdem ich festgestellt hatte, dass die Kamera fehlte, fiel mir auf, dass auch mein Geldbeutel weg war. Gestohlen? Ich versuchte mich an gestern Abend zu erinnern. Schwierig. Lag wohl am Wein. Ich hatte draußen auf meiner Sitzmatte gesessen. [...]
Im Frühjahr 2008 war nicht viel los auf dem Camino Frances. Das ist heute anders. Eine Alternative ist der ruhigere Camino del Norte, der ganz oben auf meiner Liste steht auf unserer Tour von Kap zu Kap im nächsten Jahr. An der nordspanischen Küste entlang durch Asturien, spektakuläre Aussichten und schön grün. Bleib dran! Bis dahin...
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