Solo auf dem Jakobsweg per Rad Teil 3: Diebstahl
Ich war von den Niederlanden durchs malerische Frankreich geradelt und hatte mir im sonnigen Süden eine Glockenblume namens Jaqueline an den Lenker gebastelt, die mir fortan Gesellschaft leisten sollte. Ich hatte die Pyrenäen über den fahrradfreundlichen Col du Somport überquert und nun war ich in Jaca angekommen, am Beginn des Camino Frances, dem spanischen Teil des Jakobswegs...
22. Tag 8. April, Dienstag 1875 km
Am nächsten Morgen packten die Spanier um halb 7 zusammen. Draußen regnete es in Strömen. Auch die Australier fuhren um halb 8 los. Der eine schenkte mir noch einen goldenen Känguru-Anstecker. Ich laufe jetzt also in Spanien mit Känguru-Anstecker rum. Die 4 Deutschen waren noch da.
Georg, ein gerade pensionierter Jurist, wollte noch einen Kaffee trinken gehen. Das passte mir prima. Wir fanden eine Pastelería. Georg lud mich ein. Ich bestellte direkt 2 Kaffee und 2 Croissants. Eine Unterhaltung beim Frühstück an einem Tisch, im Trockenen. Sehr angenehm. Halb 10 verabschieden wir uns.
Es regnete in Strömen. Die ersten 30 km vergingen trotzdem wie im Flug. Ich sparte mir den Abstecher zum Kloster San Juan de la Peña bei diesem Sauwetter. Die ganze Strecke bis Yesa ging über die N240, die einzige größere Straße in Ost-West-Richtung in der Gegend. Getreu dem Gesetz der Serie fuhren immer wieder 3-4 Laster an mir vorbei. Die Landschaft war spannend. Ich hatte keine Ahnung gehabt, was mich in Spanien erwarten würde und bekam somit zu sehen, was ich nicht kannte. Mondlandschaft, Stausee, Geier, stark riechende Wacholderbäume (oder so was).
Jaqueline erholte sich unter diesen Bedingungen prima. Als ich in Yesa ankam, hörte der Regen auf. Es war erst 1 Uhr. Heute wollte ich bis Sanquesa, das war nur 13 km weiter, also machte ich einen Abstecher zum Castillo de Javier. Das war langweilig. Ich setzte mich auf die Mauer und aß einen riesigen Apfel. Dann bergauf, raus aus dem Stauseetal.
Ich kam wieder mitten in der Siesta an: um 3 Uhr. Ich suchte die Herberge und wurde an eine Schlüsseladresse verwiesen. Geschlossen. Eine Telefonnummer. Kein English. Der Mann verstand trotzdem, dass ich vor seinem Hostel stand und kam raus. Er gab mir den Schlüssel. In der Albergue waren bereits ein Pole, der gut Deutsch sprach und eine Spanierin. Der Mann fragte mich über meine Route aus. Mit vollem Mund, ich aß Brot mit Honig, berichtete ich ihm von meiner Tour.
Einkaufen. Das blöde am Camino ist, dass es alle paar Kilometer 30 Cent teurer wird. Die Albergue kostete 8€. So würde ich jeden Tag 13€ ausgeben. Zu viel. Ich musste weniger essen und öfter draußen schlafen. Das war in Spanien bisher nicht so einfach wie in Frankreich.
Ich war wieder allein in der Unterkunft. Die beiden anderen waren scheinbar abgereist. So hatte ich die Dusche für mich und konnte mal wieder Sachen waschen, die ich anschließend einzeln auf dem klapprigen Elektroheizer trocknete.
23. Tag 9. April, Mittwoch 1950 km
Gestern hatte ich in der Küche Reis gefunden und gekocht. Den packte ich jetzt ein. Gut für mein Budget. Ich aß das letzte Müsli. Irgendwie fielen mir ziemlich viele Haare aus. Sicher nicht durch Mangelernährung. Außer den Mengen, die ich aß, nahm ich auch noch Vitaminpillen. Wohl eher durchs Schwitzen. Oder vom Denken...
Um 9 fuhr ich los. Auf der Straße waren ungewohnt viele Leute. Es war warm und irgendwie schwül. Nach einer halben Stunde kam ich durch eine coole Schlucht mit Geiern und Mauerseglern. Ich wanderte zwischen den Felsen herum und fotografierte die Batterie leer. Das Tal erstreckte sich über weitere 30 km. Geiereltern brachten Geierkindern die wichtigsten Flugkünste bei. Rote Milane und andere große Vögel, die ich nicht kannte, flogen durch die Gegend.
4 km Landstraße mit staubigen Lastwagen. Stress, auch für Jaqueline. Kurz vor Puente la Reina konnten wir uns in einer kleinen achteckigen Kirche bei Entspannungsmusik erholen. Puente la Reina war sehr belebt. Überall Pilger. Die Albergue kostete 5€. Zum Abendessen gab es den Reis von gestern.
Eine Gruppe von 4 Deutschen lud mich zum Wein ein. Wir waren etwa im gleichen Alter. Ich holte den Käse raus, den ich seit Nexon etwa 400 km weit mitgeschleppt hatte. In Nexon war es noch kalt gewesen. Der Geruch übertönte den von 20 Paar Pilgerschuhen, die vor der Tür standen. Ob das von Vorteil war, ist schwer zu sagen. Es waren etwa 20°C und wir saßen gemütlich draußen.
Heute war ich meinen 2000sten Kilometer dieser Reise gefahren. Darauf stoßen wir an. Mein Rad hat zum ersten Mal Geräusche gemacht. Ich habe die Kette geölt. Vielleicht hilft's.
Diebstahl
24. Tag 10. April, Donnerstag 2620 km
Die ersten verrückten Pilger standen bereits um 6 Uhr auf und rannten los. Ich stand halb 8 auf. Zum Frühstück gab es heute Reis und Joghurt.
Als ich packte, vermisste ich meine Kamera. Das war sowieso mein Tag. Schon als ich die Wasserflaschen vom Fahrrad holte, war die Tür hinter mir zugefallen und ich im Garten eingesperrt. Auch das Tor war zu. Ich rief einer Gruppe junger Spanier zu. Nach 3x Bitten ging einer rein, kam dann aber wieder raus, ohne dass sich meine Tür geöffnet hatte, und ging achselzuckend mit seinen Freunden weg. Dann kam zufällig jemand in den Garten, um seine Wäsche zu holen. Ich war befreit.
Nachdem ich festgestellt hatte, dass die Kamera fehlte, fiel mir auf, dass auch mein Geldbeutel weg war. Gestohlen? Ich versuchte mich an gestern Abend zu erinnern. Schwierig. Lag wohl am Wein. Ich hatte draußen auf meiner Sitzmatte gesessen. Kamera und Geldbörse in der Jacke. Aber ich hatte den Reis und den Käse rausgeholt, und meinen Reiseführer. Egal wie - beides war unauffindbar. Wer weiß, vielleicht hatte ich den ganzen Mist ja im Suff verschenkt. Wobei der Abend mit Steffi, Katherina, Thomas und Mario, dem Krankenhauspersonal aus Günzburg, gar nicht so feuchtfröhlich war, dass er Erinnerungslücken hinterlassen hätte.
Es war nur noch eine Pilgerin in der Unterkunft. Sie ging netterweise mit mir zur Managerin und erklärte auf Spanisch mein Problem. Nein, natürlich war nichts gefunden worden. Ich gab ihr für alle Fälle meine Telefonnummer, suchte nochmal alles durch und gab dann auf. Ich lieh mir von ihr auf unbestimmte Zeit einen Euro für das Internet und ließ meine Bankkarte sperren. Dabei lud ich gleich meine Handykarte auf.
Inzwischen war die Putzfrau dabei, zurückgelassene Lebensmittel einzusammeln. So kam ich an eine Tüte Supermarkt-Muffins, einen Apfel und ein paar Supermarkt-Schweineohren. Super-Ausbeute.
Um 10 Uhr fuhr ich los. Nach ein paar Kilometern begann es zu regnen. Aber nur kurz. Dann setzte Hagel ein. Hauptsächlich um Jaqueline zu schützen, fuhr ich unter einen Baum neben einem Leitungsmast und wartete das Gewitter ab. Als aus dem Hagel wieder Regen wurde, fuhr ich weiter.
Ich trauerte meiner Kamera hinterher. Eigentlich ein Fotomuffel hatte ich in letzter Zeit Spaß an Schnappschüssen entwickelt. Ohne Kamera hatte mein Mitteilungsbedürfnis ein Handicap.
Ich saß auf meinem Fahrrad, tropfend, mit einer vom Hagel durchgeschüttelten Reise-Campanula und musste lachen. Ich konnte Spanien immer noch nicht besonders gut leiden und heute hatte ich wenigsten einen anständigen Grund. Es war schade um die Kamera, aber hier war es eh hässlich. Natürlich hatte ich das Bild von mir und Georg in Jaca beim Frühstück nicht mehr und nicht die Mondlandschaft beim Stausee und die Schlucht mit den Geiern. Dafür brauchte ich auch von keinem alten Steinhaufen mehr Fotos zu machen. In meinem Portemonnaie waren nur ein paar Cent gewesen. Und die Visa und normale Karte, Bahncard und - das war schade - der goldene Känguru-Anstecker von dem Australier, weil ich doch mein Fleece-Shirt gewaschen hatte.
Ich hatte noch 250€. 350€ hatte ich in 24 Tagen also schon ausgegeben, wobei 100€ für die Unterkunft wegen Hochwasser draufgegangen sind. Bei 10€ pro Tag reichte das also für 25 Tage. Vielleicht konnte ich jemandem etwas überweisen und so an Bargeld kommen? Mein Konto würde noch 300€ hergeben. Zumindest hatte ich jetzt meine gewünschten Ausgleichstage. Sei vorsichtig mit deinen Wünschen, sagt meine Mutter immer...
Ich fuhr durch Estella, eine nette Stadt mit einem belebten Markt, den ich sehr genoss. So fand ich Spanien sympathisch. Da auch Estella vom Gewitter noch tropfte, aß ich ein paar von meinen Muffins im Stehen. Weiter ging es bergauf und bergab. Ganz schön anstrengend. Ab und an starker Regen. Landschaft war auch da, aber nichts zum Wohlfühlen. Die 66 km bis Logroño waren genug für heute.
Logroño rettete mir überraschenderweise den Tag. Eine richtige Stadt mit staubiger stinkender Industrie am Ortseingang, ein bisschen Mittelalter und viel Leben. Die Albergue kostete nur 3€. Es gab einen Wäschetrockner und Internet konnten Pilger gegen Spende nutzen. Perfekt.
Meine Frühstücksbeute hatte mich nicht nachhaltig gesättigt, ich musste schon wieder einkaufen. Ich entschied mich für 2 Äpfel, 3 Tafeln Schokolade und 1 Brot, wovon die Äpfel bei weitem am teuersten waren. Zum Abendbrot gab es den restlichen Reis und Schokolade. Top-Kombi.
Ich traf den Spanier mit seiner Freundin aus Sanquesa in der Unterkunft. Da sie nicht mit dem Rad unterwegs waren, „pilgerten“ sie wohl mit Bus oder Auto. Ist nicht erlaubt. Ich hoffe, sie kommen nicht in die Hölle dafür. Vor Logroño gab es tatsächlich einen Kontrollpunkt zum Abstempeln vom Pilgerpass, so ernst nahmen die das hier.
Im Schlafsaal waren immer 2 Doppelstockbetten als Abteil angeordnet. Ich teilte mir ein Abteil mit 2 älteren Herren. Ich gab meine Geschichte mit der gestohlenen Kamera und Geldbörse zum Besten. Der Deutsche tröstete mich mit einer Tafel Schokolade. Der Schwede setzte mir die Kopfhörer seines MP3-Players auf den Kopf. Neil Young lief. Die Welt konnte sowas von in Ordnung sein...
So weit, so gut. Budget für weitere 25 Tage und Jaqueline, meine Reise-Campanula und Begleiterin, hat sich vom Hagel erholt. Auf dem Fahrrad nach Santiago de Compostela geht es nun ohne Kamera weiter, dafür schreibe ich täglich Reisetagebuch:
Ein bedeutender Tag. Er begann kurz unter 0 Grad mit dichtem Nebel. Pünktlich um 6.30 Uhr waren die Lichter und fröhliche Camino-Musik eingeschaltet worden und um 8 Uhr kam Schlüsselklappernd die Putzfrau. Ich hatte das beste Frühstück aller Zeiten: Linsensuppe. Die Suppe entstammte einer Coup-a-Soup-Tüte. Warm, vor allem warm, und möglicherweise im Original auch nahrhaft.
Der Reiseführer schickte mich zunächst für 15 km auf den unakzeptabel steinigen Wanderpfad. Der Nebel legte sich als Schnee oder Reif auf mir ab....
Teil 4 bringt uns vom Logroño nach Burgos und Leon. Bis dahin...
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